Aus eigener Feder

Der Palast unter dem Ginkyobaum


Auszug aus dem Märchen von Brigitta Hoffmann
 
Es war einmal ...
...ein Prinz, der wanderte oft im Park des väterlichen Palastes...bis er an eine hohe Mauer kam, die den Park gegen das Bergland des Nachbarreiches abgrenzte.
Ganz nahe, aber schon jenseits der Mauer stand ein riesiger Baum. Gerne saß der Prinz in seinem Schatten. Der Wind wehte vereinzelt die zwiegespaltenen grünen Blätter in diesen verlassensten Teil des Palastgartens. Der Prinz mochte diese Blätter und verwahrte oft wel-che in den Taschen seines Anzugs. Wenn der Herbst den Blättern die grüne Farbe nahm und sie alle vom Baume fielen, bedeckten sie das Ödland wie ein zarter goldener Teppich. An sonnigen Tagen legte sich der Prinz auf den Goldteppich und blies die Flöte. So zart flos-sen seine Melodien, dass die Vögel still wurden und zuhörten.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass der Prinz stumm war?
...Prinz Leander lernte schreiben, lesen, rechnen und Staatskunst. Er beherrschte alles aufs Vortrefflichste. Die Flöte spielte er so fein und kunstvoll wie niemand im ganzen Lande. So waren zwanzig Jahre vergangen...
Im Nachbarreich lebte eine Prinzessin, die war verträumt und liebte lange Spaziergänge im königlichen Park. An einem Frühsommertag war sie...an eine hohe Mauer gelangt, an der ein großer Baum stand. Einen solchen Baum mit so eigentümlichen zwiegespaltenen Blättern, hatte sie noch niemals gesehen. Müde setzte sie sich in seinen Schatten; sie träumte von süßen Melodien, die sich mit dem Gesang der Vögel abwechselten. Träumte sie nur oder war sie wach? Sie lauschte. Kein Laut außer Vogelgezwitscher drang an ihr Ohr. Die Sonne senkte sich...und sie musste sich auf den Rückweg machen.
Am nächsten Morgen wanderte sie wieder hinaus zu dem Baum an der hohen Mauer. Sie lehnte still an seinem Stamm. Ob sie die zauberhafte Melodie nur geträumt hatte? Die Vögel zwitscherten und der Wind rauschte. Sie war wohl wieder eingeschlummert, doch nun weck-te sie der Klang einer silberhellen Flöte. Sie lauschte verzückt und konnte sich gar nicht satt hören an diesen feingesponnenen Melodien. Noch ein Triller. Stille.
Noch viele Male war sie zur Mauer gegangen, an manchen Tagen hörte sie die zauberhaften Klänge schon von fern, an anderen Tagen blieb alles still.
Der Sommer neigte sich dem Ende zu, bald würden Regen und Sturm es nicht mehr zulas-sen, dass sie zur Mauer kam...So fasste sie sich ein Herz, nahm die eben verklungene Me-lodie auf und sang: „Dein Flötenspiel verzaubert mein Herz. Ich spür deine Freude und auch deinen Schmerz. Sagst du mir, wer du bist?“
Der stumme Prinz erschrak zutiefst, als er diese Stimme vernahm. Er hatte sich allein ge-wähnt und durch die Flöte seinem Kummer, aber auch seiner Freude freien Lauf gelassen.
„Sagst du mir, wer du bist?“, hatte sie gefragt. Wer belauschte ihn, dort hinter der Mauer? Und wer war er eigentlich? Ein Prinz? Ein Stummer? Ein Flötenspieler? Ein glücklicher Mann? Ein trauriger Junge? Nun ja, von allem ein bisschen. Diese glockenreine Mädchen-stimme hatte ihn erschreckt und erfreut zugleich. Er nahm die Flöte, spielte die Melodie noch einmal und hängte ein neues Stück an, das fröhlich begann und traurig verklang. Die Prin-zessin verstand die Freude des ersten Teiles und die Trauer des zweiten. Sie sang: „Nicht mit Worten antwortest du mir? Bist du ein Wesen, das nicht Worte sondern nur Töne in sei-nem Herzen trägt? Trauer spüre ich in deinem Lied, das am Anfang noch so fröhlich klang.“
Er nahm die traurige Melodie wieder auf und endete mit einem fröhlichen Triller. Sie jubilier-te: “Du verstehst mich. Du bist traurig, weil du nicht sprechen darfst, aber du freust dich, weil ich dich verstehe. Nachts wurde ihr unheimlich zumute....War es eine gute Fee...oder eine böse Hexe? War es ein Faun, der etwas im Schilde führte oder ein gebannter Mensch? Die Morgensonne zerstreute ihre Bedenken und sie sehnte den nächsten Tag herbei.
* * *
Es wurde vollends Herbst und die goldenen Blätter fingen an zu fallen. Traurig sammelte Prinzessin Achilea – so war ihr Name - einige Blätter auf und nahm sie mit; die goldenen Blätter und das silberne Flötenspiel verschmolzen in eins. Sie sagte ihm, dass sie nicht mehr kommen könne, wie traurig sie darüber sei, und wie sehr sie sich auf den Frühling freue.
Mit Macht zog der Winter ein, deckte den Park mit Schnee. Nun fiel es allen auf, wie schmal und traurig der Prinz geworden war. Er mochte keine Lieder mehr spielen...niemand konnte ihn aufheitern. Er aß kaum etwas, der Koch mochte zu Tisch bringen, was er wollte. Man bemühte den Hofarzt. Der meinte, dass der Prinz ein Alter erreicht habe, in dem er eine Frau an seiner Seite haben sollte. Es wäre vernünftig, ihn zu verheiraten.
Zum 21. Geburtstag von Prinz Leander wurde ein Musikfest veranstaltet, zu dem man alle Könige und Königinnen, alle Prinzen und Prinzessinnen – insbesondere diese - einlud. Prinz Leander aber dachte nur an die silberne Stimme, die er in seinem Herzen aufbewahrt hatte. Er kam nicht auf die Idee, dass sie eine Prinzessin sein könnte und bat seinen Vater auch Zofen, Kammerjungfern oder Gärtnerinnen einzuladen und alle mussten singen Auf diese Weise hoffte der Prinz, dass er das Mädchen an ihrer Stimme erkennen würde.
Prinzessin Achilea hatte keine besondere Lust vorzusingen. Sie wusste genau was dahinter steckte und sie wollte nicht die Gemahlin irgendeines Prinzen werden. Sie dachte nur an Flötenspieler hinter Mauer.
Beim Fest hattes keines der Mädchen hatte auch nur annähernd so gesungen wie die Stimme klang, die er in seinem Herzen aufbewahrt hatte.
Als alle Gäste ihre Stücke zum Besten gegeben hatten, kam Prinz Leander auf die Bühne. Sie war nun mit den goldenen Blättern des Ginkgobaumes ausgestreut; darauf hatte er bestan-den, denn sie sollten das Erkennungszeichen für das Mädchen sein. Der Prinz spielte. Er ließ sein Flöte jauchzen in Erinnerung an den wundervollen Sommer, ließ sie weinen, weil diese traumhafte Zeit eine so lange Unterbrechung erfahren musste. Alle bewunderten den Prinzen, weil er die Menschen zum Lachen und zum Weinen brachte. Keine Wunder dass sich die Hälfte der Prinzessinnen auf der Stelle in ihn verliebte.
Achilea erkannte seine Melodien. Nun überlegte sie fieberhaft wie sie es anstellen könnte, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Die Prinzessinnen umschwärmten ihn, sie sangen ihm zu...er wusste gar nicht mehr wo er sich hinwenden sollte, von überall kamen die lockenden Lieder. Wie in aller Welt sollte Achilea bei diesem Gedränge seine Aufmerksamkeit erringen? Da nahm sie ein paar der goldenen Ginkgoblätter, die sie immer mit sich trug...und warf sie neben dem Prinzen in die Luft.
Der Prinz jedoch, war so abgelenkt, dass er die fallenden Blätter nicht bemerkte. Eine der umherstehenden Prinzessinnen jdoch fing ein Blatt auf, spielte damit und ließ es dann achtlos zu Boden flattern. Er sah es und blickte die Prinzessin fragend an. Sie lächelte huldvoll.
Ist sie es, die hinter der Mauer gesungen hat?, überlegte Prinz Leander. Die Prinzessin nickte ihm lächelnd zu. Da nahm er ihre Hand und führte sie durch die Menge der Gäste auf den Baldachin zu unter dem der König mit seiner Gemahlin saß.
Und was macht nun Prinzessin Achilea?
Wenn du das wissen willst, dann musst du das Heftchen bestellen oder du kommst, wenn ich heuer im Frühling die Geschichte erzähle.
Ort und Zeit wird noch bekanntgegeben.